Montag, 31. August 2009

4-Ohren-Test: Animal Collective - "Merriweather Post Pavillion"

Kommen wir wieder zu unserer altbewährten Rubrik "Der 4-Ohren-Test". 4-Ohren-Test bedeutet, dass wir das gleiche Album hören und unabhängig voneinander unsere Meinung kundtun. Heute beschäftigen wir uns mit dem Album "Merriweather Post Pavillion" der Band Animal Collective.

Viel Spaß!
Isabel und Sebastian

currently listening (Isabel): Oasis - Don't Go Away
currently listening (Sebastian): The Beach Boys - Good Vibrations



Sebastian: "Wenn Lebensfreude ein Lied wäre…"

Wenn Lebensfreude ein Lied wäre, wäre es ganz sicher von Animal Collective!
Die Magie des Albums „Merriweather Post Pavillion“ ist schwer zu erklären. Vielleicht ist es einfach die Konzentration auf die wirklich wichtigen Dinge des Lebens.
Allein schon das Cover-Motiv macht dieses Album zu einem Leckerbissen: Eine optische Täuschung, entworfen vom japanischen Psychologen Prof. Akiyoshi Kitaoka. Nach kurzem Anschauen bewegt sich alles.
„Merriweather Post Pavillion“ bringt wirklich neues. Einem unaufgeschlossenen Ohr mag diese Musik vielleicht als Witz oder zumindest mit einem Augenzwinkern betrachten, weil die Klänge einem spontan etwas kindlich vorkommen. Ich nehme diese Platte so ernst wie eine Sinfonie von Beethoven, nicht nur weil sie es technisch mit jeder Sonate klassischer Meister aufnehmen kann, sondern weil ich das antreibende Motiv des hinter dem Album und hinter Animal Collective insgesamt genau so schätze und ernst nehme wie jedes andere auch.
Beim Hören fragt man sich, wie man mit soviel übereinanderliegenden Soundschichten jeglicher Art noch solche Knaller-Hits bauen kann! Ein kunterbuntes Kaleidoskop von Klängen sprudelnd spritziger Elektronik erwartet den glücklichen Hörer, die gegen alle gängigen Pop-Konventionen verstoßen, aber dafür in der Lage sind, ein starkes Gefühl der Freude im Hörer auszulösen. Und das mit einer unglaublichen Innovativität, die leider viel zu selten eine breitere Hörerschaft erreicht. Gott sei Dank ist das wenigstens diesen drei New Yorkern nicht vergönnt.
Obwohl einem beim ersten Hören der Platte zunächst die schillernden, feuchten, lebendigen und organischen Klänge ins Ohr springen, zeichnen sich Animal Collective auch als hervorragende Poeten aus. Schon das zweite Lied des Albums „My Girls“ ist ein bezauberndes Plädoyer für etwas mehr Bescheidenheit; es sagt, dass man zum Leben nichts weiter braucht als ein kleines Haus mit seinen Lieben drin. Hier gibt’s keine Metaphern, keine Metaphysik, sondern Rückbesinnung auf Tugenden:

I don’t mean to seem like I care about material things, like a social status.
I just want four walls and adobe slabs for my girls.

Wundervoll! Nach dem, wegen der Hookline „Noone should call you a dreamer“ ebenso ermunternden „Also Frightened“ kommt die herzerwärmende Single des Albums und damit ein weiteres Stück mit absolutem Hit-Potenzial: „Summertime Clothes“, in welchem jede Strophe immer auf den gleichen simplen Willen hinausläuft:
“And I want to walk around with you”
Auch das Video zu Summertime Clothes kann sich sehen lassen: Ein Rausch aus unerklärlichen Dingen, aus Rätseln. Seltsame Figuren tanzen in seltsamen sphärischen Gewändern umher. Es ist wie jede gute Kunst, sie stellt mehr Fragen, als sie beantwortet. Genau das machen Animal Collective, und das auch noch laut und bunt!
Während Oasis, Coldplay und Konsorten im Gegensatz zu diesem Meisterwerk nach grauem Establishment schmecken, dreht dieses tierisch gute Kollektiv mit intensivem polyphonen Gesang und jeder Menge Enthusiasmus voll auf. Harmonietechnisch gaukeln Animal Collective einem nichts vor, sondern lassen dem Hörer viel Interpretationsfreiraum. Trotzdem kann man nicht widerstehen, nach ein paar Mal hören mitzusingen, wie in „Lion In A Coma“:

“Lion in a coma, lion in a coma, don’t keep lying in a coma!”

“Merriweather Post Pavillion” will uns sagen, dass wir Menschen uns nicht einbilden sollten, dass wir besser seien als Tiere, dass wir uns überhaupt nicht für irgendetwas Besseres halten sollten. Lifestyle-Erscheinungen und Trends werden mit Witz und Ironie eine radikale Abfuhr erteilt, wie in „Taste“:

My friend and me were having laughs
In a living room filled with arts and crafts
He said, "I like their clothes and their charming ways”,
But what I really want is a simple place,
With no fashion clothes 'cause you can't eat those.

Merriweather Post Pavillion ist große Kunst. Für den Hörer, der offen für neues ist, offenbaren die drei New Yorker eine innovative Sensation der Superlative. Dieses Album ist abgespaced und doch intelligent, exotisch und doch liebenswert, künstlerisch und doch absolut natürlich.
Gegen Ende der Platte spürt man schon, dass man etwas ganz Großes gehört hat, und das noch bevor man das furiose Finalstück erreicht hat: Das knapp 6-minütige „Brother Sport“, was nichts Geringeres als eine Ode an das Leben selbst ist. Hierzu fehlen mir nun wahrlich die Worte für eine der Sache gerecht werdende Beschreibung.
Beenden möchte ich diese Rezension mit den Zeilen, mit denen auch ein Album endet, das für Kritiker vielleicht das beste Album 2009 sein mag, mich aber ein Leben begleiten wird, weil es mich immer mit staunender Freude zurücklässt:

Until fully grown
You got a real good shot
Won't help to hold inside
Keep it real, keep it real, shout out!



Isabel: „Tierisch nervig“

Eine zeitlang habe ich in einem Büro gearbeitet. Die Arbeit am PC war relativ monoton, aber zum Glück gibt es ja Internetradio. „The Alternate Side“ hat mir damals wahrscheinlich das Leben gerettet. Doch selbst das beste Internetradio ist scheinbar nicht gewappnet vor der Radiokrankheit schlechthin: sich selbst zu wiederholen. Bei The Alternate Side liefen deshalb ständig Animal Collective mit „Summertime Clothes“. Wieder und wieder und wieder. Der Moderator der Sendung musste jedoch selbst immer wieder einräumen: „Animal Collective scheiden die Geister.“ Meiner hat sich schließlich fürs genervt-sein entschieden, und das entschlossen.
Wie der Name der Band schon sagt, sind Animal Collective ein riesiger Affenzirkus. Die Musik wabert nur so vor sich hin mit ungeordneten Synthie-Geräuschen und Effekten, die nie gezielt eingesetzt werden, sondern von Anfang an ein großes Ganzes and noise-Kulisse formen. Für den Hörer wird das mit der Zeit ganz schön anstrengend. Besonders akut wird das bei „Brother Sport“. Der Gesang ist skandierend, gleichzeitig mit call-answer-Technik versehen und wirkt einfach nur nervig, weil es eine einzige endlos-Schleife ist. Dahinter steigert sich langsam aber sicher die Masse an Geräuschen und Klängen und geht auf die Nerven. Keine Chance, dass im Hintergrund laufen zu lassen. Das ist wie eine Platte, die hängen geblieben ist.
Die Melodien von Animal Collective, wie zum Beispiel bei „Brother Sport“ sind gar nicht so verkehrt, aber es fehlt an Entwicklung und Einfallsreichtum. Einzelne Zeilen werden immer wieder wiederholt, bis meistens die 5 Minuten-Marke längst überschritten ist. Was angesichts der Tatsache, dass in den Songs absolut nichts Nennenswertes passiert, irgendwie Zeitverschwendung ist. Der Gesang ist darüber hinaus in allen Liedern konstant in derselben Tonlage, was das ganze Album nicht wirklich abwechslungsreicher macht. Oft wird die Stimme einfach gedoppelt und wirkt durch einen Synthie-Effekt enorm unmenschlich.
Aber ich will Animal Collective nicht durch und durch schlecht reden. Das Problem besteht meiner Ansicht nach einfach darin, dass ein ganzes Album davon aber einfach nur tierisch nervt. Die Band scheint sich auf einem riesigen Trip zu befinden, von dem sie nie richtig runter kommt. Es gibt keine Erholung für den Hörer, der immer neue Geräusche auf die Ohren bekommt und irgendwie wegstecken muss. Da bleibt keine Zeit zum Durchatmen. Animal Collective haben ein gewisses Potential, das meiner Ansicht nach mit „Merriweather Post Pavillion“ noch nicht ausgeschöpft ist. Hier scheint die Band erstmal jeden Knopf auf jedem Synthie gedrückt zu haben, um zu sehen, wie der denn klingt. Und auf Biegen und Brechen wurden Songs draus gemacht. Das macht Hoffnung, dass sie beim nächsten Werk vielleicht schon besser wissen, was sie gerade tun und an ihrer Vielseitigkeit arbeiten können.
Wer schöne Synthies hören möchte, der höre doch so lange lieber One in a Googolplex.


----

Und hier nun, ohne Wertung, das Video "Summertime Clothes":

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

 
Web Analytics