Dienstag, 25. August 2009

4-Ohren Test: Bright Eyes - "Digital Ash in a Digital Urn"

Geschmäcker sind bekanntlich verschieden. Und auch wenn sie in dieselbe Richtung gehen, wie das bei uns wahrscheinlich der Fall ist, so gibt es doch immer wieder Bands oder Alben, über die wir unterschiedlicher Meinung sind. Deshalb gibt es hier auf Reflektorschild nun zum ersten Mal einen sogenannten "4-Ohren-Test". Das heißt: Wir hören dasselbe Album und sagen unabhängig voneinander unsere Meinung. Hier also die Premiere: Bright Eyes mit "Digital Ash in a Digital Urn".

Viel Spaß!
Sebastian und Isabel

currently listening (Isabel): Arctic Monkeys - Crying Lightning
currently listening (Sebastian):
Killed By 9 Volt Batteries - This City Is Lit When You're On Top Of It



Isabel: "Easy/Lucky/Free"

Ich weiß es noch genau: Es war der 24. Januar 2005, als Bright Eyes gleichzeitig „I’m wide awake, it’s morning“ und „Digital ash in a digital urn“ veröffentlichten. Zwei Tage nach meinem 17. Geburtstag bekam ich mit diesen Alben wahrscheinlich eins der schönsten Geschenke überhaupt.

Musikkritiker lieben es ja, die Alben irgendwie einzuordnen. Logische Konsequenzen zu vorherigen oder anderweitig bekannten Werken zu ziehen. Ich mag das auch, muss ich gestehen. Bei „I’m wide awake…“ war das auch gar nicht schwer. Die folkigere der beiden CDs ist eindeutig und unverkennbar die einzig logische Konsequenz zum Vorgängeralbum „Lifted, or the story is in the soil, keep your ear to the ground“. Da konnte man sich also erstmal über die schlichte Schönheit typischer Conor Oberst-Klänge freuen. Und wie!

Aber schon das Cover von „Digital ash…“ machte klar: Hier ist was anders. Das hier ist nicht der folk-country-singer/songwriter Conor, wie man ihn kennt. Alles beginnt mit einer quietschenden Tür, Schritte, hektische Atemgeräusche. Man fühlt sich unwillkürlich an „The Dark Side of the Moon“ erinnert, als man jemanden weglaufen hört. Herzklopfen (auch bei mir, aber auch in der Musik). Irgendwann formen sich dumpfe Töne zu einer Melodie und die Stimme von Conor Oberst ist zu hören: „Death. Data entry. Ant hill law….“ Es macht nicht wirklich Sinn, und es entfremdet. „Schh…don’t talk, don’t talk.“, sagt Oberst schließlich, und der Beat startet. Dieser Beat, ist der „digital“? Was ist denn eigentlich „digital“? Klar, man erwartet Elektronik, Beats, genau. Lots and lots of computer noise. Und was das Verrückte an diesem Album ist? Man hat im ersten Moment den Eindruck, genau das zu bekommen. Denn gerade der Beat, der so bestechend betont wird, der fast jedem Song treibt und zum besonderen Etwas führt- der ist da. Doch wenn man ganz genau hinhört, dann stellt man fest: nix Computer! Das ist ein ganz normales Schlagzeug. Oder halt: es sind genau genommen zwei ganz normale Schlagzeuge. Die mal miteinander, aber meistens ergänzend spielen. Und somit den Beat herstellen, der sich so „static“ anhört wie ein PC-Beat, aber keiner ist. Genauso geht es übrigens auch mit den anderen Instrumenten: Das wenigste hier sind Synthies. Das meiste sind Gitarren, Piano und Bass, die höchstens in ihrem Klang entfremdet wurden, aber immer noch Gitarren, Piano und Bass bleiben. Ich glaube, hier ist der kleine, aber feine Unterschied zu dem, was man vielleicht „Elektro“ nennen würde. Was hier aber schlichtweg „digital“ ist.

Aber Bright Eyes wären nicht Conor Oberst deluxe, wenn da nicht die Texte wären. Die Stimmung des Albums ist düster, und das liegt wohl vor allem an den Texten. Wenn man eine gewisse Empfindsamkeit von Seiten des „spokesman for a generation“ gewohnt ist, so ist man dennoch von der unverblümten Offenheit dieser Songs erstmal gepackt. Oberst thematisiert vor allem Persönliches. Dabei sticht vor allem „Hit the switch“ heraus, indem er seinen Hang zum Alkohol thematisiert:

Cause there's this switch that gets hit
And it all stops making sense
And in the middle of drinks
Maybe the fifth or the sixth
I'm completely alone
At a table of friends
I feel nothing for them
I feel nothing!
Nothing!

(auf der Tour zu „Digital ash…“ bin ich Conor Oberst schließlich zum ersten Mal selbst begegnet- im volltrunkenen Zustand. Das war leicht desillusionierend, muss ich gestehen.)

Gleichermaßen deutlich wird seine scheinbar innere Zerrissenheit auch in „Devil in the Details“, wo es heißt:

But know there's no backing out

This is gonna be reality

You can never dream it down


I have - no way

Of telling - the two – apart

Auf der anderen Seite fordert er: „Take it easy (love nothing)“. In dem Song geht es darum, dass er (oder das fiktive „I“?) von einer älteren Frau verführt wird.

Left by the lamp, right next to the bed On a cartoon cat pad she scratched with a pen "Everything is as it's always been This never happened" "Don't take it so bad, it's nothing you did It's just once something dies, you can't make it live You're a beautiful boy, you're a sweet little kid But I am a woman"

Gelöst wird das Problem gegen Ende des Songs dann mit den Worten:

No it isn't so hard to get close to me There will be no arguments, we will always agree And I will try and be kind when I ask you to leave We will both take it easy But if you stay too long inside my memory I will trap you in a song tied to a melody And I'll keep you there so you can't bother me

Mein persönlicher Liebling auf dem Album ist “Ship in a bottle”. Es ist wahrscheinlich auch das schrägste Lied, was vermutlich an dem Zwischenspiel liegt, in dem man ein Baby schreien hört.

Das folgende „Light Pollution“ kommt im Gegensatz dazu richtig poppig daher. Den Abschluss des Albums bildet schließlich „Easy/Lucky/Free“, indem Oberst resümiert über…sich? Die Welt? Das Leben eines zu dem Zeitpunkt gerade mal 24-jährigen, der mit seinem bereits 5. Studioalben wieder einmal sämtliche Erwartungen übertroffen hat? Wahrscheinlich von jedem etwas. Dieses Album ist einfach nur wahnsinnig, wahnsinnig gut.



Sebastian: „Hurra, hurra, das Leben stinkt!“


„Digital Ash In A Digital Urn“ ist eine gemeine Falle. Auf so was bin ich zum letzten Mal bei James Blunt reingefallen. Auf den ersten Blick ist es scheinbar interessante Musik mit originellen Arrangements. Die Lyrics sind an sich meist gut, oft stellar und universal. Alles andere entpuppt sich bei näherem Hinhören auf emotionsloses Synthesizer-Gefrickel mit einem Conor Oberst, der singt, als ob er mit dem falschen Fuß aufgestanden ist. Denn von vorne bis hinten gibt es nichts anderes als Obersts permanente gefühlsduselige Pseudo-Larmoyanz auf die Ohren, was das Hören dieses Albums ungefähr so angenehm macht wie das Beißen auf Alu-Folie. Dabei hätte es eigentlich ganz gut werden können. Wenn es von Radiohead wäre, zum Beispiel.

Natürlich ist so ein Ausnahmealbum (was es ja dank Obersts fehlgeleiteter Experimentierfreude durchaus ist) erfolgreich und wird von allen gelobt. Oberst sponsort mit seinem Gejammer für mich aber nichts weiter als den Soundtrack zum spaßverdrossenen Emo-Dasein vieler verwirrter Teenies.

Peinlich pathetisch und pubertär solipsistisch hämmert sich Oberst durch die 15 Tracks, die allesamt einen noch engeren Horizont an Emotionen aufweisen, als eine Best-Of Sendung von Maxi Arlands Musikantendampfer im MDR. Vielleicht wurde Oberst in der Schule immer gehänselt oder hat als kleines Kind zu viele schlechte TV-Dramen gesehen und muss das an uns jetzt auslassen. Sein nach Aufmerksamkeit schreiender Gesang erinnert an Babygeschrei (welches man im Übrigen auch hören kann im Lied „Ship In A Bottle“).

Zugegeben: Es gibt ein paar gute Momente auf diesem Album. Diese reichen aber bei weitem nicht aus, um das ganze Album mitzutragen. Außerdem ist es eine schlechte Prämisse, wenn Oberst, was er ja im Stern-Interview selber zugibt, nicht weiß, was er mit seiner Zeit anfangen soll, unter der er ein Album aufnimmt. Dieses Phänomen sehen wir heute leider oft genug: Mir ist langweilig, also schreibe ich ein Buch über meine Langeweile. In unserem Fall einen Song. Das ist nicht weise. Hat dich heute Morgen im Bus jemand böse angeschaut? Dann mach ein Album daraus und verklag die ganze Welt!

Elektro-Fans dürften diese Platte wegen ihrer beschränkten Arrangements sowieso belächeln. Man hat das Gefühl, als ob das gesamte Album auf nur 30% Leistung laufe. Wann kommt endlich die reißerische Wende, fragt man sich, die Explosion, das Ausbrechen aus diesem Käfig der seichten Klänge und dem öden Lamentieren. Aber es gibt keine. Die Platte geht, wie sie gekommen ist: Völlig belanglos. Ein Ärgernis für jeden Radiohead-Hörer.

Um diese total facettenarme Platte bis zum Ende durchzuhören, bedarf es einer Ausdauer von 50 Minuten und Nerven aus Stahl, um sich nicht durch diese langweilige und introvertierte Musik einnnehmen zu lassen. Zwar interessiert mich Obersts egozentrisches Geplänkel in etwa soviel wie die Ergebnisse der letzten finnischen Dampfsauna-Meisterschaften, kann mich aber einer gewissen Wut auf sein hohles Weltschmerz-Gewinsel nicht entziehen.

Nach 3 Minuten und 30 Sekunden im letzten Lied „Easy/lucky/free“ bekam ich dann endlich doch einmal kurz gute Laune, weil es sich wie ein Fade-Out anhörte, der das Ende der Platte verhieß, aber das war auch eine Falle! Denn der alte Trapper Oberst musste noch einmal mit seiner schwarz-weiß-malerischen Wehleidigkeit loslegen, damit auch wirklich der letzte Tropfen gesunden Menschenverstandes auf dem heißen Stein von „Digital Ash in A Digital Urn“ verdampft.

Menschen mit Depressionen sei beim Anhören dieses Tonträgers dringend geraten, für den Notfall eine DJ-Ötzi-Platte neben den CD-Player zu legen.




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Und hier, ganz ohne Wertung: "Easy/Lucky/Free"












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